Life at 30: Immer dieses schlechte Gewissen

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Boah ich kenne das. Und du bestimmt auch. Dieses schlechte Gewissen. Gerade dann, wenn wir uns eigentlich mal etwas Gutes tun. Und das verhindert oft „das so richtig Genießen”.

Ich bin selbstständig. Höchstoffiziell seit 2016. Dann habe ich mit Mitte 30 noch dazu keine Kinder. „Geil, die hat ja eine absolut freie Zeiteinteilung, oder?” Stimmt. Deshalb habe ich zum Beispiel letzten Sonntag ein paar Stunden gearbeitet. Und dafür… Ja! Und da kommt die „Krux” (mal hier oldschool Wörter etablieren)! Es folgt eben nicht ein automatisches: Und dafür habe ich mir den Montagvormittag freigenommen und einfach mal gemacht, worauf ich Lust hatte. Stattdessen wunderte ich mich, dass alles in mir „Couch, Buch, kein Schreibtisch” schrie. Seit ich achtsamer mit mir umgehe (also auch ungefähr seit 2016), merke ich sofort, wenn es Zeit ist nicht nur „durchzuziehen”, sondern auch Pausen einzulegen. Und erst als ich mich da wunderte wo die Energie abgeblieben war, da fiel mir wieder ein: „Ach du hast ja auch am Wochenende gearbeitet”. Wieso also nicht Montagvormittag zum Sport gehen und erst am Nachmittag an den Schreibtisch? Und das habe ich dann gemacht.

Aber ganz tief in mir, da hörte ich es noch leise flüstern. Das schlechte Gewissen. „Eigentlich hast du doch so viel Arbeit, wäre viel besser, du arbeitest erst alles ab und dann tust du dir etwas Gutes.” Heute schaffe ich es das zu ignorieren. Früher ging das gar nicht.

Aber selbst heute muss ich mir freie Zeit manchmal aktiv „erlauben”. Schon verrückt, denn innerlich fragen wir uns ja auch nicht um Erlaubnis, wenn zum Beispiel mal am Wochenende oder später am Abend gearbeitet wird.

Das ist alles aber auch sehr in unserer Gesellschaft verankert. Nur wer ständig beschäftigt und gestresst ist, scheint erfolgreich zu sein. Und erfolgreich sein, ist gesellschaftlich das ausgemachte Ziel. Das schrieb ich schon 2019 hier in der Life at 30 Kolumne.

„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen”

Ich habe Jahre damit verbracht, die Arbeit vor allem anderen zu priorisieren. Nicht nur aus finanziellen Gründen. Wenn ich ganz ehrlich bin, vor allem auch wegen des Erwartungsdrucks (von außen und auch innerlich aufgenommen, sodass ich es gar nicht mehr richtig unterscheiden konnte). Wenn ich schon keine Familie plane, dann muss es doch „wenigstens” eine Karriere sein. Eine Beförderung. Aufsteigen. Wenn ich dies und das abgearbeitet habe, dann erst darf ich mir etwas gönnen. Sport? Irgendwann nach Feierabend. Überstunden? Okay, dann eben Yoga am Wochenende. Treffen mit Freundinnen? Puh, abends eigentlich zu müde. Ach, auch am Wochenende. So viele Tage hat kein Wochenende, für die Dinge, die früher alle dorthin „geschoben” wurden.

Als ich selbstständig war, da hat es auch sehr lange gedauert, bis ich mal nicht nach dem Motto „erst die Arbeit, dann das Vergnügen” lebte. Selbst als auch mal die Auftragslage eine Zeit lang mau war. Statt einen freien Nachmittag im Sommer an der Alster unter der Woche einfach mal zu genießen, weil die To-Do Liste nicht so voll war. Du ahnst es: Das schlechte Gewissen. In den drei Stunden könnte ich auch neue Kund*innen an Land ziehen. Ach überhaupt, in der Selbstständigkeit gilt doch: Jede Sekunde, die ich nicht arbeite, verdiene ich auch kein Geld.

Aber weißt du, was mir viel mehr geholfen hätte: Diese bescheuerten drei Stunden Sonne einfach zu genießen damals. Wir dürfen auch mal einfach im Moment sein. Nicht jede kleine Pause, die sich mal ergibt muss mit Arbeit gefüllt werden. Gerade, wenn wir flexibel sind in der Selbstständigkeit. Es kommen auch wieder schnell genug die hektischen Phasen.

Immer dieses schlechte Gewissen…

Vielleicht lässt sich folgendes Beispiel noch ein bisschen besser greifen. Meine Kollegin arbeitet halbtags. Alle die schon mal halbtags gearbeitet haben, wissen: Das ist Arbeiten mit ständigem schlechten Gewissen. Du bleibst doch noch eine Stunde länger, weil das Projekt muss ja auch irgendwie fertig werden. Machst keine Mittagspause, sondern isst am Schreibtisch, weil du ja ohnehin früher gehst als die andern. Fühlst wie eine Art „Walk of Shame”, wenn du das voll besetzte Büro verlässt.

Im Mentoring habe ich einmal zu einer Mentee gesagt: „Du arbeitest halbtags. Das heißt: In deinem Vertrag stehen halb so viele Stunden wie bei der Kollegin. Du wirst auch nur für die Hälfte der Stunden bezahlt.” Und dennoch haben wir dieses schlechte Gewissen. Besonders als Moms bei Wiedereinstieg in den Job. Wir haben als Frauen ohnehin schon viel zu oft festgestellt, dass wir viel sichtbarer hart arbeiten und erfolgreich sein müssen. Weil wir in so vielen Branchen und Unternehmen, sonst einfach bei der nächsten Beförderungsrunde übersehen werden. Aber aus einer Halbtagsstelle wird vor der Führungsebene keine volle Stelle. Selbst wenn wir versuchen immer länger zu bleiben oder in der Freizeit ständig mit dem Kopf bei der Arbeit sind (oder eben tatsächlich arbeiten).

Dieses schlechte Gewissen, das macht es uns so oft eigentlich nur selbst schwer. Und ich kenne das so, so gut.

Statt so richtig gute Momente voll und ganz zu genießen, ist in unserem Kopf vor lauter schlechtem Gewissen wegen der Arbeit manchmal gar kein Raum. Schnell werden doch noch mal eben beim Spielplatz-Date die Mails gecheckt. Oder das Smartphone kann auf keinen Fall beim Feierabend-Spaziergang zu Hause gelassen werden, weil „die Kundin könnte sich vielleicht doch noch melden”.

Ich liebe meinen Job. Finde besonders seit meiner Stressmanagement-Ausbildung bei Mentorings und Retreats so eine Erfüllung. Habe das Schreiben dieser Life at 30 Kolumne noch nie als harte Arbeit, sondern als Freude empfunden. Und trotzdem bin ich niemand, die sagt: „Wenn Du deinen Job liebst, dann wirst du keinen Tag mehr arbeiten müssen”. Oder wie auch immer genau dieser doofe Spruch geht.

Arbeit ist auch Arbeit, selbst wenn sie erfüllend ist. Und Freizeit darf auch frei sein und sich nach wirklicher „Zeit” anfühlen. Zwei Worte, die doch eigentlich schon enthalten sind. Freie Zeit. Mit dem Kopf ganz da. Ohne schlechtes Gewissen.

Gerade arbeite ich mit einigen Mentees an der Job-Zufriedenheit. Falls du dich auch für ein Mentoring interessierst: Ich habe gerade ein Special für 2024. Und im neuen Jahr sind nur noch neun Mentoring-Plätze frei. Also schau gern mal hier!

Bild: Sophie Wolter


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