Life at 30: Das Leben der Anderen

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Diese Woche bin ich an einem Tag für Stunden komplett in Instagram Stories versunken. Über das Leben der Anderen und uns als Zuschauer.

Am Dienstag hatte ich einen absolut nicht produktiven Tag. Ich war innerlich mental durch etwas ausgebremst, das mich einen Tag zuvor aus der Bahn geworfen hatte. Und brachte so gerade einmal die Energie für ein paar Mails und meinen Instagram Content auf. Achso: Weil es immer so als nebenbei gesehen wird, sollte ich vielleicht die drei Maschinen Wäsche noch erwähnen.

Abends ging ich dann endlich vor die Tür und drehte ein paar Runden im Park. Ein Spaziergang, nicht falsch verstehen. Das mit dem Joggen habe ich nach Lockdown Nummer 1 ziemlich schnell dann doch wieder gegen Yoga getauscht.

Da atmete ich zum ersten Mal an diesem Tag so richtig durch. Und merkte diese tiefe Anspannung in mir.

Wir als Zuschauer der Leben der Anderen

Ich spürte da so richtig, dass sich über den Tag eine innere Unruhe in mir ausgebreitet hatte. Das wurde mir erst so richtig bewusst, als ich im Park so richtig bei mir ankam. Diese Unausgeglichenheit hatte sich den Tag über festgesetzt, obwohl ich doch eigentlich ziemlich viel „gechillt” hatte (wie lange kann ich das über 30 noch so ausdrücken, ohne für Teenies peinlich zu sein – oder schon zu spät?).

Aber das Chillen war eben kein richtiges, echtes Chillen. Nicht so wie letztes Jahr in der Provence auf einer Liege im Halbschatten mit einem richtig guten Buch in der Hand. Dem Duft von Pinien in der Nase und keinem To-Do auf irgendeiner Liste.

Ich hätte 1000 Dinge zu erledigen gehabt. Stattdessen habe ich ausgeschlafen (hätte ich mir früher im Hamsterrad nicht erlaubt). Weil ich es nach einem mental und emotional sehr anstrengenden Wochenanfang an diesem Dienstag einfach brauchte. Soweit so gut.

Dann setzte ich mich nach dem Frühstück auch nicht direkt an meine Arbeit, sondern schaltete meine aktuelle Lieblingsserie an („The Gilded Age”). Doch schon nach fünf Minuten nahm ich mein iPhone in die Hand und scrollte durch Instagram. Pausierte die Serie. Und hing dann stundenlang in der App fest. Aber nicht beruflich sinnvoll mit Interaktion, Benchmark und Content Creation, was ja für meinen Job auch wichtig ist. Sondern gänzlich als Konsument.

Normalerweise bin ich eine wahre Meisterin von „Social Media Balance”. Aber nicht an diesem Tag. Ich zog mir das Leben der Anderen in so einem Überfluss rein, dass ich, als ich dann endlich nach Luft schnappte, gar nicht mehr richtig wusste, wer was gemacht hatte. Und irgendwie eine negative Stimmung spürte.

Ich konsumiere Social Media sonst sehr ausgewählt. Als Stressmanagement Trainerin weiß ich schließlich, was es mit uns macht ständig das Handy in der Hand zu haben. Und ständig das „Leben der Anderen” (übrigens ein guter Film…) zu verfolgen. Den Vergleichen mit unserem Leben können wir uns da psychologisch kaum entziehen. Selbst wenn wir es offensichtlich gar nicht wahrnehmen.

Und genau dieses Vergleichen ist das purste Gift. Das habe ich ja auch schon in meinem eBook geschrieben.

„The grass is always greener on the other side”

Das denken wir – oft auch unterbewusst – wie beim Scrollen an dem Tag. Stimmt aber überhaupt nicht.

So saß ich da also, von dem anstrengenden Vortag ausgelaugt. Hatte trotz angezogener Handbremse das Gefühl, doch eigentlich noch berufliche Dinge erledigen zu müssen. Und zog mir stattdessen Leben um Leben rein. In meiner Blase natürlich ungefähr jeder Zweite bei OMR. Die meisten direkt super erfolgreich als Vortragende auf der Bühne. Viele im Urlaub oder gerade im Begriff komplett auszuwandern. Ganz viele Reels à la live your best life mit Traumerlebnissen. Dann entdeckte ich neue und alte Coaching-Kolleginnen, die plötzlich Kurse für 10.000 Euro verkaufen.

Das prasselte da auf meiner Couch so alles ganz schön schnell auf mich ein.

Und das führte dazu, dass ich doch eine Instagram Story machte. Aber nicht aus Druck, sondern als Reminder an uns alle.

„Dein Reminder hier: Wenn Du heute einfach nur durch den Tag gekommen bist. Und jetzt (wie ich) nur das Haus für einen Spaziergang verlässt. Dann ist das verdammt wertvoll.”

Daraufhin erreichten mich so, so viele Nachrichten mit „Danke” und ganz viele Herzen in der Story.

Weil eben gerade alle bei Instagram so „real” tun. Aber eigentlich doch nur die besten, erfolgreichen Momente zeigen. Und das finde ich fast noch schlimmer als früher, als einfach klar war, dass das alles nur „Lebens-Highlights” sind, weil wir dann denken, alle sind super erfolgreich, immer happy und ständig unterwegs. Obwohl wir es doch eigentlich besser wissen. Schließlich teilte ich am Wochenende in meiner wenigen Zeit auf Instagram, weil ich die Stunden mit meiner Familie genießen wollte, auch nur kurz, dass ich auf einer Hochzeit war. Und nicht (ich hasse aber auch dieses „ständig das Leben livestreamen”), dass ich vor lauter Periodenschmerzen am Morgen der Hochzeit kaum Laufen konnte. Also sah es für andere als absoluter Highlight-Tag ohne Hürden aus.

Aber ganz ehrlich: So vieles ist nicht einmal ein isoliertes Highlight, sondern manchmal sogar nicht mal wahr.

Deshalb lasst uns immer wieder daran denken, wenn wir mal wieder – ob digital oder im echten Leben – als Zuschauer das Leben der Anderen betrachten. Und uns erinnern, auch einfach mal „abzuschalten” (im wahrsten Sinne, besonders Accounts, die uns keinen Mehrwert liefern) und uns voll und ganz nur auf unser eigenes Leben zu konzentrieren. Mit all den Highlights, die wir manchmal gar nicht so wahrnehmen, weil wir zu beschäftigt damit sind, anderen beim Leben zuzuschauen.

Bild: Sophie Wolter, mein Schmuck auf dem Bild ist von Frau Hansen (Pizza-Armband, selbst gekauft), Hola Amor Estudios (Smilie-Armband, gifting), Moanina Jewelry (Karma-Kette und Kompass-Kette, gifting)


1 Kommentare

  • Jules

    25. Mai 2022 at 13:35

    Das zu lesen tut so gut!!! Danke dafür♥️

    Antworten

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