Life at 30: „Stell dich nicht so an…“

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Ein furchtbarer Satz, oder? Trotzdem beeinflusst er uns innerlich in dieser Leistungsgesellschaft leider immer noch hin und wieder. Mich auch letzte Woche.

Würde zu mir jemand „Stell dich nicht so an“ sagen, dann hätte ich so einiges zu entgegnen. Schließlich finde ich, wir müssen nicht alles immer „weglächeln“ und einfach immer weitermachen, egal wie wir uns wirklich fühlen. Viel zu oft sind auch Ehrlichkeit und die Emotionen zu zeigen „anstellen“. Und auch, wenn wir auf uns und auf unsere Bedürfnisse achten.

In den letzten Jahren habe ich gelernt, auf mich zu achten. Was mir dabei aufgefallen ist? Wie unfassbar oft ich früher einfach nur im „Durchhaltemodus“ war. Okay, noch eine Stunde länger arbeiten, auch wenn die Augen schon flimmern, wenn ich auf den Bildschirm schaue. In meiner Hamsterrad-Zeit hat mich krank zu sein auch keinesfalls von der Arbeit abgehalten. Hing doch schließlich mit immer weniger Kolleginnen irgendwie alles letztendlich an mir und ich konnte nichts abgeben. Nase zu war keine Ausrede, für „Nase voll und Ciao” war ich damals noch nicht bereit.

Aber selbst letzte Woche noch flüsterte etwas in mir kurz „Stell dich nicht so an“…

Das war letzten Mittwoch, als ich mir so einen produktiven Arbeitstag eingeplant und sogar von Terminen freigeschaufelt hatte. Stundenlang wollte ich so richtig motiviert – ob du es glaubst oder nicht – mit meinem Tee am Schreibtisch sitzen. Und dann merkte ich nach dem Aufstehen und Frühstücken ziemlich schnell, dass gar nichts mehr ging. Sogar ein Telefonat mit einer Kollegin mittags um 13 Uhr musste ich absagen, weil ich mich vor Unterleibskrämpfen nur zusammengerollt im Bett aufhalten konnte. Am Schreibtisch sitzen oder auch nur auf dem Sofa? Keine Chance.

Hätte ich mir einen Magen-Darm-Virus eingefangen, hätte ich mich selbst bemitleidet und mir einen Kamillentee ans Bett gestellt. Netflix angeschmissen und mich wieder zusammengerollt. Aber war „nur“ die Periode.

Dazu muss ich vielleicht etwas ausholen. Als ich Teenagerin war, da war das Anfang der 2000er. Und da war die Zeit noch nicht so wie heute. Da wurde geflüstert – peiiiinlich – ob jemand einen Tampon dabei hat, wenn man keinen mehr hatte. Da war ein Blutsfleck das Schlimmste, das irgendwie passieren könnte. Und alles rund um „die Tage“ wurde möglichst verschwiegen. Sowieso wurde sofort allen Freundinnen um mich herum – inklusive mir – so schnell die Pille verschrieben, dass wir gar keine Zeit hatten „Sex” überhaupt auszusprechen. Und ich hatte als Folge somit ca. 16 Jahre lang überhaupt keinen natürlichen Zyklus, stattdessen kann ich dir zig Pillen-Firmen aufzählen, die ich nicht vertragen habe. Neidisch wurde auch in Uni-Zeiten noch auf Sportlerinnen geschaut, die die Pille durchnahmen und deshalb überhaupt keine Monatsblutung mehr hatten. Tabuthema Periode.

Und so ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass trotz all den Jahren meiner persönlichen Entwicklung, irgendwie letzte Woche doch wieder eine leise Stimme in mir flüsterte: „Stell dich nicht so an. Steh auf. Zieh einfach durch, wie du es vorgenommen hast. Wirf doch einfach eine Schmerztablette ein und weiter geht‘s.“ Ich bin übrigens ziemlich stolz, dass ich mich, wo ich doch früher bei jedem Kopfschmerz sofort eine Tablette einwarf, gar nicht erinnern kann, wann ich zum letzten Mal Schmerzmittel genommen habe. Und das liegt auch daran, dass ich mir mittlerweile bei Schmerzen auch einfach dringend benötigte Pausen gebe.

Trotzdem spürte ich einen gewissen Druck, denn gerade habe ich beruflich einen Zeitplan, den ich versuche einzuhalten, weil mir ein Projekt sehr wichtig ist. In der Selbstständigkeit bei einem One-Woman-Business kann ich nicht einfach sagen: „Kannst du das übernehmen?“. (Fun Fact: Im Angestelltenverhältnis ging das vor lauter Personalmangel am Ende auch nie.)

Und ich bin so stolz, dass ich nicht auf die Stimme gehört habe, sondern alles, was zu verschieben war, spontan verschoben habe und mich wieder ins Bett verkrümelte. Mit Tee und Wärmekissen.

Wenn es gesellschaftlich internalisiertes „Anstellen“ ist, wenn ich auf mich achte und schaue, dass es mir gut geht. Dann sollten wir uns meiner Meinung nach viel häufiger und viel mehr „anstellen“.

Bild: Sophie Wolter auf Gut Damp


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