Life at 30: Mit dem Finger auf andere zeigen

In: Life at 30
life at 30 mit dem Finger auf andere zeigen suelovesnyc_life_at_30_kolumne_susan_fengler_hamburg_mit_dem_Finger_auf_andere_zeigen

„Das ist hier doch alles kein Wettbewerb, wer richtig oder falsch mit Krieg umgeht” sage ich zu einer Freundin. Warum immer dieses mit dem Finger auf andere zeigen?

Ich komme mir, wenn ich den Umgang untereinander – vor allem auf Social Media – verfolge, ein wenig so vor als hätte ich gerade ein Déjà-vu aus den letzten Monaten. Statt „Wie können wir uns gemeinsam stark machen und anderen helfen?” schlägt mir in den „sozialen” (!) Medien überall entgegen, wie wir doch jetzt (und vor allem Menschen die beruflich dort unterwegs sind) mit dem Krieg umzugehen haben. Da werden von einer Influencerin sogar (in den letzten Monaten jetzt zum zweiten Mal) beinahe Verhaltensrichtlinien herausgegeben. Was angebracht ist und was eben nicht.

Versteht mich nicht falsch. Memes oder Witze über Krisen zu machen geht absolut gar nicht. Null. Toleriere ich nicht zu einem Prozent. Melde ich, verachte ich.

Wenn allerdings Menschen, die ihren Job nun einmal im Internet ausüben, Verträge und Kunden haben, nicht auf einmal zu 24/7-Kriegsberichterstattung wechseln auf ihren Kanälen. Dann verstehe ich das absolut. Oder werden jetzt alle Lifestyle-Magazine am Kiosk aus den Regalen genommen, weil wir gerade anderes im Kopf haben? Hat die Bundesliga aufgehört, weil es gerade Wichtigeres gibt als einen Ball zu kicken?

Lassen sich online Kooperationen verschieben, weil es gerade unpassend erscheint, dann ist das gut (ich kenne das Gefühl). Aber was viele bei Menschen zu vergessen scheinen, die sich um die sozialen Medien ein digitales Business aufgebaut haben ist, dass das nicht alles nur „Spielerei” und Hobby und Regenbögen und Ponyhof ist. Sondern auch eben ein Beruf. Mit Verpflichtungen, Verträgen, Absprachen und Existenzsicherung durch Einkommen.

Und so lag mir in den letzten Tagen nichts ferner, als auf Instagram Menschen zu kritisieren und anzuprangern, die zwischen Spendenaufrufen auch „normalen Content” und ausgemachte Kooperationen teilten. Ich finde, es gibt immer noch einen Unterschied zwischen „so tun als wäre nichts” oder respektlosem Umgang und „eben arbeiten müssen, auch wenn der Kopf gerade woanders ist”.

Nich nur online, sondern auch offline müssen wir damit aufhören das Verhalten der anderen von außen zu bewerten

Auch offline sehe ich gerade dieses ständige Bewerten vom Verhalten anderer. Da wird sich empört, weil die Mutter es wagt, sich aufzuregen, dass ihr Kind wegen des Kita-Streiks jetzt nicht Fasching feiern kann. „Also es gibt doch gerade echt Wichtigeres. Wie egoistisch.” Ich verstehe sie und ihre Emotionen. Du darfst Dich aufregen, wenn Dein kleines Kind nach zwei Jahren der Entbehrungen so sehr einen Tag herbeigesehnt hat, der jetzt nicht stattfindet.

„Die machen einfach so weiter als wäre nichts” wird geurteilt. Weil vom einen Fenster zum anderen alles „normal weiterzulaufen” scheint. Dabei wird nur bewertet, was unmittelbar zu sehen ist. (Das gilt übrigens auch wieder für mein Online-Beispiel). Nur weil jemand nicht ständig darüber redet, dass er sich engagiert, heißt das doch nicht, dass er ignorant wegsieht. Nur weil die Freundin am Wochenende im kleinen Kreis ihren Geburtstag feiert, ist sie doch kein unempathischer Mensch.

Bitte, bitte, bitte lasst uns doch damit aufhören mit dem Finger auf andere zu zeigen

Jeder Mensch geht individuell mit Krisensituationen um. Wir dürfen eine Balance finden in unserem Alltag. Zwischen engagieren und ablenken. Und manchmal lässt sich beruflich nicht so einfach alles innerhalb von fünf Minuten umschmeissen und ändern. Selbst, wenn Du selbständig bist. Und dieses „lasst uns andere Dinge verschieben bis die Zeiten besser sind” ist auch in meinen Augen naiv. Denn wann ist es denn „besser”? Und müsste man dann nicht nur auf Europa blicken, sondern eigentlich auf die gesamte Welt?

Ich finde in der aktuellen Situation sollte es viel wichtiger sein, uns gegenseitig zu stützen und zu unterstützen, als mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Die Freundin packt es gerade nicht, die Nachrichten anzusehen, weil sie von der Pandemie mental so geschwächt und das alles einfach zu viel ist? Dann nimm sie in den Arm, statt sie zu belehren, dass sie informierter und engagierter sein sollte.

Eine Bekannte fühlt sich ohnmächtig, weil sie nicht weiß, wie sie jetzt helfen kann auch mit kleinem Geldbeutel. Dann überlegt gemeinsam, was vielleicht auch einfach lokal in Eurer Stadt möglich ist statt Betrag X zu spenden.

Jemand in den sozialen Medien postet online nicht nur Spendenaufrufe, sondern auch Kochvideos mit Rezepten, weil er sich darum eine Selbständigkeit aufgebaut hat. Dann schenke ihm ein digitales Herz und unterstütze sein Business mit dem er seine Familie ernährt (im wahrsten Sinne).

Wir können gemeinsam so viel mehr erreichen. Und helfen aber rein gar niemandem mit diesem mit dem Finger auf andere zu zeigen und zu bewerten, wer mit Krisensituationen und einem Krieg richtig oder falsch umgeht.

Bild: Sophie Wolter


2 Kommentare

  • Jules

    4. März 2022 at 10:35

    Vielen Dank für dieses „BÄM“!
    Diese Zeilen bedeuten viel. Die aktuelle Situation ist schwer, jeder geht anders damit um. Euer Arbeitsumfeld in der Social Media Welt ist eine große Herausforderung, denn man kann es nicht jedem Recht machen und muss ein Spagat schlagen, die sozialen Medien trennen auf den ersten Blick nicht beruflich und privat. Vielen ist es nicht bewusst, was sie bewirken – positiv wie negativ.
    Du bewirkst meines Erachtens sehr viel mit deinen Beiträgen – und zwar positiv.
    Danke, dass du das tust! Gerade in der aktuellen Zeit!
    Ich wünsche mir für uns alle mehr Verständnis und Rücksichtnahme, ein starkes Miteinander.

    Antworten

  • Susan Fengler

    6. März 2022 at 12:42

    Danke für Dein Feedback liebe Jules. Der Kommentar kam für mich genau im richtigen Moment, als ich mich gerade sehr über etwas ärgerte. Liebe Grüße und Danke dafür, Sue

    Antworten

Hinterlasse ein Kommentar

Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten (Name und Email Adresse) durch diese Website einverstanden. Weitere Informationen findest du in der Datenschutzerklärung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.