Life at 30: Ganz ehrlich (oder zu ehrlich?)

In: Life at 30
ganz ehrlich zu ehrlich life at 30 suelovesnyc_susan_Fengler_ganz_ehrlich_zu_ehrlich_Life_at_30_kolumne

Ist Dir bestimmt auch schon aufgefallen, dass ich oft „ganz ehrlich” schreibe. Aber manchmal frage ich mich: Gibt es ein „zu ehrlich”?

In einer Zeit voller „Tindler Schwindler” und „Inventing Anna” lege ich so viel Wert auf Ehrlichkeit. Hätte ich mir jemals ein Online-Dating-Profil zugelegt und meinen Mann nicht einfach in einer Basketballhalle kennengelernt. In meinem Profil hätte bei „Suche” auf jeden Fall etwas mit Ehrlichkeit gestanden. Schon als Teenager habe ich es sowas von gehasst, wenn „hinter dem Rücken” gelästert wurde. Und auch jetzt mit Mitte dreißig ist mir ein ehrlicher Umgang im Privatleben und im Job sowas von wichtig. Vielleicht schreibe ich deshalb so oft „ganz ehrlich” in meinen Artikeln.

Ich schreibe das jetzt hier gerade aber nicht, um Dir zu zeigen, dass ich ein „besserer Mensch” bin. Um mich selbst hochzupreisen. Ich schreibe darüber, weil ich mich mit dem Konzept von Ehrlichkeit in der letzten Zeit wieder kritisch beschäftigt habe. Denn meine direkte Ehrlichkeit kostet mich auch immer einiges. Und da fragte ich mich:

Gibt es ein „zu ehrlich”?

Beruflich bekomme ich von Leserinnen und der Life at 30 Community oft Lob und nette Worte für meine ehrliche und authentische Art hier digital. Und das ist für mich das schönste Kompliment. Aber im Job kostete mich meine Ehrlichkeit auch schon so einiges. Ganz ehrlich (haha da ist es wieder): Ich wäre in unserer Gesellschaft sicherlich heute reicher und erfolgreicher, wenn ich nicht so sehr auf Ehrlichkeit pochen würde. Damit meine ich nicht einmal solch „große” Schwindel wie von Anna Sorokin. Aber hätte ich damals als es beinahe alle machten (ja Ihr würdet Euch erschrecken), auch diese Bots benutzt. Ja, dann hätte ich wie viele eine viel größere Instagram Community, die sich dann auch auf organische Weise viel schneller und effektiver weiterentwickelt hätte.

Ich konnte es nicht, weil es sich falsch angefühlt hat (was es ja auch ist) und sehe nun heute fröhlich dabei zu, wie die Insta-Konkurrentinnen mit diesem „Vorteil” das große Geld machen. Und sehe noch heute so offensichtliche Like- und Follower-Käufe bei Frauen, denen man das nie zuschreiben würde. Da sticht es schon ein wenig immer wieder, wenn man dann nicht mehr mit Kunden arbeitet, die diese Personen, wegen der größeren Reichweite buchen. Und sogar auf Nachfrage gesagt wird von Agenturkontakten: Ja wir wissen, die faken, oder haben gefaked, aber der Kunde braucht eben Zahlen. Ich darf darüber nicht so viel nachdenken, denn – ganz ehrlich – manchmal packt mich die Wut, denn es ist eben so ein wichtiger Teil meiner Arbeit (sogar als Coach, um sichtbar zu sein).

Ehrlich sein kostet mich auch viel…

Vor Kurzem habe ich wieder eine sehr ehrliche Mail an eine mögliche Kundin eines Start-Ups geschrieben (ich dachte bevor ich absage, sage ich, dass es eigentlich nicht am Produkt, sondern an der Website und dem Markenauftritt liegt). Und bin fast (beinahe wortwörtlich) vor positiver Überraschung vom Stuhl gefallen, als mich einen Tag später eine aufrichtige Mail erreichte mit einer Buchung von mir als Beraterin für ihre Markenpositionierung (die ich in meiner Mail konstruktiv kritisiert hatte). Denn 9 von 10 Mal, wenn ich ehrlich konstruktive Kritik äußere und wirklich ehrlich bin, wird das in meiner Branche wie eine „persönliche Beleidigung” aufgefasst und kostet mich den möglichen Job.

Und dann gibt es da noch die Situationen unter Kolleginnen. Ich finde Support so wichtig und kann es nicht verstehen, warum man andere Frauen aus dem einstigen so kleinen redaktionellen Blogger-Kreis nicht unterstützt. Und sage das dann auch so ehrlich, dass ich nicht verstehe, warum Support hier so schwer möglich ist. Müßig zu sagen, dass ich auf eine ehrliche Nachricht an eine Kollegin nie eine Antwort erhielt.

Ganz ehrlich: Ich tue mich da beim Coaching-Marketing auch sehr schwer

Wenn wir bei Ehrlichkeit sind, dann schreibe ich diese Kolumne wohl auch gerade jetzt, weil ich in den letzten Wochen mein Coaching-Konzept für dieses Jahr ausarbeitete. Und mir dabei natürlich auch die Angebote anderer Coaches und Trainer*innen ansah. Benchmarking. Wenn ich das mache, dann triggern mich so viele Punkte, dass es mir teilweise sogar die Motivation nimmt, meine eigenen Programme an den Start zu bringen. Da lese ich nur Coaching-Marketing-Begriffe wie „sechsstellig” zu verdienen, wenn es um Job Coachings geht. Am laufenden Band!

Und diese „eklige Verkaufssprache” und all die Tricks, die ich mittlerweile mit einem Blick durchschauen kann. All diese leeren Versprechungen und unfassbar überhöhten Preise, die nichts mit dem eigentlichen Aufwand, der Beratung usw. mehr zu tun haben, sondern genutzt werden, um „Exklusivität” und „Es sich leisten zu können” zu triggern.

Ich bin eher der Typ, der früher auf den wichtigsten Job-Events Dinge sagte wie „Ich habe einen Blog, weil ich das Schreiben zum Beruf machen wollte”. Während sich andere als „Entrepreneur, Content Creator and Founder” vorstellten und eigentlich das gleiche arbeiteten wie ich oder weniger Erfahrung mitbrachten.

Kann ich mit Ehrlichkeit bestehen zwischen all den so toll klingenden „Versprechungen” und „Taktiken”?

Da fragte ich mich diese Woche: Kann ich überhaupt in der heutigen Zeit Coach bzw. Mentorin sein, ohne diese ganze übertriebene „Marketing-Verkaufe”.

Seht und hört Ihr mich überhaupt, wenn ich einfach ganz ehrlich dastehe (und schreibe): Ich war da wo Du mal warst und ich habe dadurch, dass ich mich selbständig gemacht habe und mein Leben auf den Kopf gestellt habe, so viel gelernt, was ich Dir für Dein Leben um die dreißig mitgeben will. Die Abkürzung für Dich sozusagen, weil ich Dir mit Rat zur Seite stehe. Kann Dir als Mentorin helfen, wenn Du Dir überlegst, Dein Leben so zu verändern, wie Du es wirklich leben willst und Dich vielleicht auch selbständig machen willst oder mit Deinem Job nicht zufrieden bist. Und ich kann Dir als Stressmanagement-Trainerin helfen, dass Dein Alltag sich nicht mehr so überfordernd anfühlt mit den tausenden To-Dos im Kopf.

Ist das genug? Ohne, dass ich etwas von „sechstellig” verdienen erzähle oder Klientinnen und zig „Masterclass Verkäufe” durch taktische Tricks in Instagram Stories präsentiere, die es eigentlich gar nicht gibt.

Und da saß ich vor meinen Coaching-Konzepten und meinen Unterlagen und dachte: Es gibt für mich kein „zu ehrlich”. Vielleicht werde ich mit meiner Ehrlichkeit nicht zum Digital Business Millionär. Aber dafür kann ich jeden Morgen in den Spiegel sehen. Bekomme vielleicht keinen Preis für das effektivste Marketing oder die größte Instagram-Community. Aber: Vielleicht ist es auch einfach genau das, was mich ausmacht. Und was dann doch in all dem „Geschwindel” und Tricksen gerade deshalb gesucht und gemocht wird.

Und immer mit einem guten Gefühl. Mit Blick auf den Mehrwert und nicht nur auf das Geld gerichtet.

Bild: Sophie Wolter


4 Kommentare

  • Krizia

    11. März 2022 at 10:54

    Liebe Sue,
    das ist der beste Beitrag, den du je geschrieben hast! Fast spielerisch deckst du nebenbei auf, was alles falsch läuft in der Coachingbranche bzw. im dazugehörigen Marketing, und ich fühle jedes Wort. Ich empfinde es als mutig, solche Zeilen von innen heraus zu bringen. Du hast mit „zu viel Ehrlichkeit“ etwas zu verlieren, und entscheidest dich trotzdem für den weniger leichten Weg, um dir und deinen Werten treu bleiben zu können. Gefällt mir sehr!

    Liebe Grüße, Krizia

    Antworten

  • Susan Fengler

    11. März 2022 at 16:13

    Hi Krizia, oh wow Danke Dir sehr für das Kompliment. Gerade von Dir auch fachlich. Liebe Grüße, Sue

    Antworten

  • Annika

    11. März 2022 at 11:16

    Liebe Susan,

    du kannst und wirst auf dem Coaching Markt bestehen. Du wirst gesehen werden. Und zwar genau von den Kunden, denen diese Werte ebenso wichtig sind . Wie heißt es so schön?: „Ehrlich währt am längsten“.

    Antworten

  • Susan Fengler

    11. März 2022 at 16:15

    Hallo liebe Annika, Danke Dir sehr für Deinen Support und Dein immer so motivierendes Feedback. Liebe Grüße, Sue

    Antworten

Hinterlasse ein Kommentar

Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten (Name und Email Adresse) durch diese Website einverstanden. Weitere Informationen findest du in der Datenschutzerklärung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.