Life at 30: „Die hat es ja echt geschafft!”

In: Life at 30
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Das hat man früher bei uns im Ort gesagt, wenn jemand so richtig erfolgreich war. In den letzten Jahren habe ich Erfolg für mich völlig neu definiert. Darum geht’s heute.

Als ich aufwuchs in den 90ern in einem Ort in der Nähe von Heidelberg. Da hatte man es „geschafft” und war erfolgreich, wenn man einen krassen Job hatte. Irgendeine Firma leitete. Oder ein tolles Haus gebaut hat. Anzeichen waren aber auch mehrere Urlaube im Jahr oder ein dickes Auto.

Ein Umzug in eine Metropole war auch so ein Kennzeichen. „Die lebt jetzt in San Francisco? Na, die hat es ja geschafft.”

Irgendwie ist bei meinem Kolumnentitel und der Aussage aber auch Wunschdenken mit dabei. Denn ganz ehrlich: In den 9oern war das ja mal tausendmal wahrscheinlicher, dass „er” es geschafft und vielleicht im Ganzen seine Familie. Als jetzt „sie” allein. Aber bleiben wir mal bei der femininen Variante, denn gleich geht es ja um mich als Erwachsene.

„Die hat es ja echt geschafft!”

Als ich anfing zu arbeiten, da hatte ich eine Art „Teufel trägt Prada”-Version ohne Teufel im Kopf, wenn ich an einen beruflichen Erfolg für mich dachte. In einer fancy Redaktion irgendeine Leitungsposition und ach, wenn ich es so richtig „geschafft” hätte natürlich auch gern in New York. Morgens ein ebenfalls sehr fancy Drink und Bagel auf die Hand, in der anderen eine Designertasche, während ich im coolen Outfit zur Arbeit lief. Abends dann in meinem fancy Apartment gemeinsam mit Freunden den Abend ausklingen lassen. Ach und als Urlaub zwischendurch gern die Bahamas mit einem richtig guten Buch. Danke.

Das klingt witzig, war als „Best-Case-Erfolgsszenario” aber wirklich nicht all zu weit hergeholt damals.

Heute weiß ich um die realistischen Hintergründe dieses Erfolgsszenarios, das ich in Teilen sogar „erreichte” in der Vergangenheit (nur eben nicht in NYC). Dass Besitz nicht wirklich glücklich macht (auch keine Chaneltasche). Der Bagel in der Hand schon Teil des Problems ist – er steht hier eher für ständigen Zeitdruck als Teil des Erfolgs als für Genuss. Und in der Realität wäre ich in diesem Erfolgsszenario so gestresst, dass die eine (!) Woche Urlaub eher mit Mails zwischendurch beantworten gefüllt wäre, statt mit Entspannung.

Ich meine damit nicht, dass eine Karriere (in irgendeiner Form habe ich die ja auch mit der Selbstständigkeit) nicht erfüllend sein kann. Aber heute hat Erfolg für mich sehr viel weniger mit dem typischen Job-Aufstieg, Titel auf Visitenkarten und Gehaltserhöhungen zu tun.

Heute definiere ich Erfolg anders…

In den letzten Wochen regnete es beinahe jeden Tag. Der Sommer fühlte sich eher nach warmen Herbsttagen an (und ja: nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland). Als sich zwischendurch die Sonne zeigte, versuchte ich jeden Moment zu genießen. Aß mein Porridge mit frischem Obst morgens mit Sonne im Gesicht einfach um 10 Uhr, weil sie sich da erst zeigte.

Verlegte mein Office an einem Nachmittag mit spontanem Sonnenschein innerhalb von fünf Minuten auf den Balkon.

Nahm mir zwischendurch eine Stunde Zeit um einen richtig schönen Spaziergang im Park zu machen. Und kochte während es regnete ein richtig leckeres, gesundes Mittagessen im Home-Office ohne dabei auf die Uhr zu schauen.

Zwischendurch schrieb mir eine meiner Life at 30 Mentees, dass sie sich über ihre Workbookseiten gefreut hat und bedankte sich, weil sie das Gefühl hat, ich sei ihr größter Fan.

Da lehnte ich mich im Balkonstuhl zurück und hielt die Nase in die Sonne.

„Das ist für mich Erfolg”, dachte ich.

Dass ich Sonntagabends keine Angst vor dem Montag habe und nicht mit einem ekligen Gefühl in meine Mails schaue. Dass ich einfach spontan einen Nachmittag frei nehmen kann und dafür abends nochmal etwas arbeite, weil endlich mal wieder die Sonne scheint. Dass ich meinen Arbeitsplatz auf meinen eigenen Balkon verlegen kann innerhalb von fünf Minuten. Beim Mittagessen nicht schlingen muss, weil die Uhr tickt.

Es ist so abgenutzt, weil es so oft gesagt wird. Aber ich werde an die Tage mit meinen besten Freunden am Strand zurückdenken, wenn ich alt bin. An Reisen. Als ich mit meinem Mann mitten im Dschungel auf Bali Basketball spielte. Ich werde an die klitzekleinen Momente denken – wie das kleine Kind meiner Freundin zu Beyoncé tanzte. An Momente auf meinem Sonnenbalkon als wir mitten in Hamburg wohnten.

Heute denke ich nicht, dass ich erfolgreich bin, wenn ich 10.000 Euro mehr am Ende des Jahres auf dem Konto habe. Ich habe nicht mehr Erfolg, weil andere über mich von außen betrachtet sagen würden „Die hat es ja echt geschafft!”. Mein Leben ist erfolgreich, wenn ich morgens aufstehe und ich mich wohlfühle. Ich empfinde es als Erfolg, dass ich nach Jahren erkannt habe, was mir im Leben gut tut und mir dafür Zeit nehme (gesundes Essen, Pausen, Sonnenschein, Lieblingsmenschen). Ich fühle mich beruflich erfolgreich, wenn mir Frauen, für die ich im Life at 30 Mentoring da sein darf, nach wenigen Sessions schreiben, wie sehr sich ihr Leben schon zum Positiven verändert hat. Wenn ich bei Rezensionen über meine Arbeit Freudentränen in den Augen bekomme.

Gerade mit der Sonne im Gesicht und dem Wind in den Haaren während ich diese Zeilen tippe, könnte mich mein stressiges „New York Erfolgsszenario” nicht weniger interessieren.

Ich definiere Erfolg heute für mich neu. Und das fühlt sich verdammt gut an.

Kleiner Tipp: Für mein Retreat auf Gut Damp im November (wo ich auch auf dem Foto oben am Fenster stehe) sind nur noch wenige Plätze frei. Sichere dir jetzt noch deinen Ruhe-Moment vor der Endjahreshektik.

Bild: Sophie Wolter


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