Life at 30: Wir müssen mehr übers Scheitern sprechen

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Hast du, wenn du dich umsiehst, auch manchmal das Gefühl, dass alle nur von Erfolg zu Erfolg springen? Ich finde, wir müssen mehr übers Scheitern sprechen. Aber das ist gar nicht so einfach.

Wenn ich mich umsehe – besonders digital – dann sieht es so aus, als würde bei allen andern immer alles glatt laufen. Projekte, die gerade erst gestartet wurden, sind sofort super erfolgreich. Produkte, die auf den Markt gebracht werden, verkaufen sich sofort aus.

Und obwohl ich seit Jahren von Online-Marketing umgeben bin, muss ich mich selbst mit aller Macht immer wieder an etwas erinnern… Vieles ist auch genau das: Marketing. Das fällt mir selbst nach über einem Jahrzehnt im Business noch schwer. Manchmal schaue ich auf andere und denke: Woah, ihr Produkt ist innerhalb von 12 Stunden fast ausverkauft? Wie krass. Vielleicht ist es so, vielleicht aber auch Verknappung und Taktik. Niemand sieht, was wirklich dahintersteckt. Von außen sieht es bei vielen so aus als ob alle nur einen Erfolg nach dem anderen einheimsen. Alles so spielend leicht ist.

Im Business-Umfeld über Scheitern zu sprechen, ist aber auch tricky. Ich kenne das selbst. Besonders, wenn man es in unserer „Erfolgsgesellschaft” (es geht schon lange nicht mehr nur um die reine Leistung) nicht gewohnt ist. Dann ist man plötzlich die Einzige, bei der es „offensichtlich wohl nicht läuft”. Während alle um dich herum das Spielchen weiter spielen.

Wir müssen mehr übers Scheitern sprechen

Warum? Weil dieses ganze „Jaaa, alles super und bei dir?” egal ob im beruflichen Umfeld oder im privaten Kreis sowas von viel Druck erzeugt. Und wir viel zu oft leise in uns reinflüstern: „Bin ich die Einzige, die so oft vor richtig dicken Herausforderungen steht? Die bei der es nicht läuft, während es bei den andern so leicht aussieht?”. Nein – du siehst bei dir nur all die harten, herausfordernden Momente, während sie dir bei anderen verborgen bleiben und du nur die „Peaks” (Spitzen) siehst.

Auf Instagram gibt es teilweise so wunderschön gestaltete motivierende Zeichnungen dazu. Ich denke da an einen Eisberg, der aus dem Wasser ragt und oben stehen lauter positive Erfolgserlebnisse an der Spitze. Während der viel, viel größere Teil des Eisbergs unter der Wasseroberfläche ist und die vielen, vielen Herausforderungen und negativen Momente aufzeigt.

Manchmal ist es ein zwei Schritte vor, drei Schritte zurück. Sogar oft. Aber wir zeigen es nicht nach außen, sondern am Ende nur das Ergebnis. Das ist vielleicht gut für unser Image, unsere „Marke” (die teilweise jetzt sogar im Privaten eine viel zu große Rolle spielt meiner Meinung nach), aber hilft uns eigentlich allen nicht.

Also los…

Als ich mich 2019 zur Stressmanagement-Trainerin ausbilden ließ, da hatte ich große Pläne für 2020. Ich wollte Workshops bei Unternehmen halten, mit denen ich auch schon zusammenarbeitete. Wollte mich auch als Speakerin zu dem mir so wichtigen Thema auf Events sichtbar machen. Und dann kam Covid. Alle im Home-Office, statt in den Büroräumen, wo ich Workshops anbieten wollte. Keine Events bei denen ich mich als Speakerin ins Gespräch bringen könnte. Meine Pläne zerplatzten wie Luftblasen. Zudem überall Unsicherheit und das Budget wurde erst einmal zurückgehalten. Erst einmal abwarten. Was für eine Selbstständige natürlich absolut nicht leicht war.

Für mich ein berufliches Scheitern meiner Pläne. Das habe ich nicht verheimlicht. Aber wenn du zu dieser Zeit nicht mit mir im Austausch warst, dann hast du von außen oder im Rückblick auf 2020 vielleicht nur gesehen: oh sie hat ein eBook herausgebracht, das viele interessiert hat. Wie cool. Den Lockdown gut genutzt. Ach noch dazu hat sie ein Mentoring Programm für Frauen ab 30 gegründet. Alle im Home-Office? Gerade hat sie gepostet, dass sie bei Meta/Facebook einen „Working from Home” Online-Workshop gegeben hat – auf Englisch, wie cool. Ziemlich viel los bei ihr. Läuft.

Ja, das habe ich gemacht, aber wieso hatte ich Zeit für ein eBook? Weil ich besonders im Frühjahr 2020 extrem wenige Aufträge von Kund*innen hatte. Weil ich meine eigentlichen Ideen mit Offline-Workshops für Unternehmen und Speakeraufträgen bei Events erst einmal komplett auf Eis legen musste. Weil mein kompletter Plan für 2020 mal eben über den Haufen geworfen wurde. Gescheitert ist. Ja, ich konnte nichts dafür, aber war trotzdem alles für die Tonne.

Ich habe im letzten Jahr eine Kollegin kennengelernt, die mir bei unserem „näher Kennenlernen” im Café über ihre Selbstständigkeit folgendes sagte: „Gerade ist mir ein bisschen langweilig. Könnte schon mehr sein.” Und das habe ich mittlerweile schon oft erzählt. Weil ich es so herrlich ehrlich fand. Unser weiteres Gespräch und das Aufbauen unserer Beziehung hat so sehr von dieser Ehrlichkeit profitiert. Ich dachte in der Vergangenheit schon ab und zu: „Vielleicht bin ich zu ehrlich. Vielleicht sollte ich dicker auftragen, mehr Eigenmarketing betreiben und alles so erzählen, dass es sich richtig gut anhört wie die andern”. Aber ich hasse diese Gespräche mit so viel Fassade in die Richtung „Ja, also bei mir läuft alles suuuuper. Job, Ehe, Kids. Megaaaa. Und bei dir?”. Das liegt mir nicht. Und ich finde, es hilft uns nicht.

Es ist, finde ich, immer eine Balance. Von: „Wie ehrlich will ich gerade sein? Wem genau offenbare ich mich gerade? Schade ich mir nur selbst oder helfe ich damit anderen?”

Lasst uns doch mit kleinen Dingen anfangen. Letzte Woche habe ich ein „erfolgreiches” (für meine Reichweitenverhältnisse) Reel bei Instagram gepostet. Und in der Story aber gezeigt: was dahintersteckte war eher unglamourös und eine Herausforderung für mich an diesem Tag.

Im Privaten spiele ich schon lange nicht mehr das „Gut und diiiir?”-Spiel. Zumindest nicht mit Menschen die mir wirklich wichtig sind. Ist es gerade viel, dieses Jahr zwischen zwei Wohnorten zu pendeln? Ja! Bin ich deshalb gerade müde? Ja! Nervt die Zugfahrt auch mal und ist nicht einfach nur „super um zu arbeiten”? Definitiv!

Es sind manchmal ganz kleine Offenbarungen, die uns allen so helfen. Ich versuche mich da auch noch immer weiter hinzubewegen.


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