Life at 30: Hallo, Du heile Welt

In: Life at 30
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Vom Flüchten in andere Welten und eine andere Realität. Und einfach mal berieseln lassen.

Ich ziehe den kuscheligsten Jogginganzug an, den ich jemals besessen habe. Ziehe mir die Kuscheldecke (die sogar „Kushel” heißt) bis zum Kinn. Neben mir dampft eine Tasse Tee, der nach Früchten riecht. Ich drücke auf Play. Und steige in den Zug nach Hogwarts auf Gleis 9 3/4.

Laufe durch die Winkelgasse. Denke an 2019 als ich in den Universal Studios wirklich dort lief. Träume mich dorthin.

Oder stehe mitten in Notting Hill. Sehe die blaue Tür. Und das grelle Gelb auf Weiß des verschütteten Orangensafts.

„Hallo, Du heile Welt” will ich flüstern. Eintauchen. Weg von der Realität. Welten in denen ich nicht ein einziges Mal Worte wie Inzidenz höre.

Eigentlich habe ich beispielsweise Grey’s Anatomy geliebt. Binge-Watching-Serie par excellence. Bis Corona auch in die Sendung kam. Und ich die Masken und Krankheits-Stories nicht mehr sehen konnte. Also zurück zu Harry Potter. Und Evergreens wie Notting Hill oder Pretty Woman.

Ich bin mir absolut bewusst, dass Emily in Paris und And Just Like That wohl mehr Schwächen als gute Storylines haben. Aber es ist so herrlich mit Emily durch Paris und Carrie durch New York zu laufen (wo sie sich jetzt glücklicherweise nach den ersten beiden Folgen nicht mehr ständig die Hände desinfiziert). „Früher” da lief ich (deutlich weniger auffällig gekleidet und eher in Sneakern) selbst wie Emily und Carrie durch Paris und New York. Ich versinke in der guten alten Zeit (auch wenn das nicht wie Life at 30, sondern eher wie Life at 80 klingt).

Ganz ehrlich: manchmal flüchte ich auch in so richtiges Trash-TV. So Formate, die mir so peinlich sind, dass ich bei Netflix, bevor ich ausmache, auf der Startseite schnell was anderes anklicke. Damit mein Mann beim Einschalten nicht sieht, dass ich bei Folge 7 (!) einer peinlichen Single-Serie bin.

Aber ich brauche das gerade manchmal einfach. So eine Berieselung zum Kopf abschalten. Ich würde Dir jetzt gerne schreiben, dass ich dafür alte Werke von Theodor Fontane aus meinem Literaturstudium zur Hand nehme. Aber das wäre schlicht und ergreifend gelogen. In den letzten zwei Jahren laufen Netflix, Sky, Amazon Prime und – jahrelange GZSZ-Sucht – RTL+ heiß.

Realitätsflucht per Knopfdruck

Ich flüchte in diese anderen Welten, weil ich unsere gerade manchmal nur schwer aushalte. Erinnerst Du Dich an meine Kolumne der letzten Woche, in der ich schrieb, dass ich zumindest den engeren Freundeskreis wieder mehr treffen will. Wenigstens ein paar Dates ausmachen möchte, weil das Abkapseln mental so schwer wiegt?

Sagen wir so: Seitdem ich auf Veröffentlichen geklickt habe, hat quasi mein gesamter enger Freundeskreis (die eigentlich gar keine Berührungspunkte untereinander haben) Corona bekommen. Wenn es nicht so beschissen (sorry) wäre, müsste man eigentlich lachen (zumindest geht es allen einigermaßen gut, weil geimpft).

Also war ich in den letzten Tagen weiter im Abkapsel-Modus gezwungenermaßen. Und flüchtete mich in die kleine heile Welt. Die natürlich eigentlich überhaupt nicht heil ist, denn egal ob Voldemort, Schicksalsschläge oder einfach zwischenmenschliches Drama, das findet man von Harry Potter, über Notting Hill bis zur Reality-Serie. Aber eben kein Covid, keine Krankheiten (außer vielleicht unrealistische Quidditch-Verletzungen), keine Masken.

Wir sind gerade oft so streng mit uns (darüber schreibe ich vielleicht eine nächste Kolumne). Setzen uns unter Druck trotz allem „funktionieren” zu müssen. Sogar Ablenkung muss „richtig gemacht” werden und zumindest ein anspruchsvolles Buch oder einen lehrreichen Podcast beinhalten.

Obwohl ich Bücher liebe wie keine andere und selbst Podcast-Folgen aufnehme (gerade nicht, aber die Zeit kommt wieder). Will ich doch auch eine Sache sagen (und mir): Mach Dich nicht dafür fertig, dass Du Dich gerade in andere Welten flüchtest, die vielleicht nicht dazu beitragen, Dich intellektuell oder mental weiterzubilden.

Wenn ich mich zwei Stunden habe so richtig platt berieseln lassen, dann habe ich das eben gerade gebraucht. Und habe wieder viel mehr Lust auf die Dinge, die mich wirklich persönlich weiterbringen.

Also kein schlechtes Gewissen beim Quatsch-TV. Wir sind doch schon so immer viel zu streng mit uns.


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