Life at 30: Ich vermisse mich

In: Life at 30
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Ich schaue in den Spiegel und da sehe ich es. Mich. Wie ich war. Ich vermisse mich. Ein Gedanke, der vielmehr ein Gefühl ist.

Ich vermisse mich. Und das wurde mir an einem Abend besonders bewusst.

Also spulen wir einmal kurz zum letzten Abend des Jahres 2021 zurück. Silvester. Während wir Heiligabend zum ersten Mal zu zweit und ehrlicherweise in Jogginghosen verbrachten (ich hatte ja darüber geschrieben, dass Weihnachten ausfällt), da gab es an Silvester mit einer lieben Freundin wieder klassisch Raclette wie immer. Und da nahm ich mir endlich einmal wieder Zeit für ein tolles Make-up (ich kann das wirklich gut). So richtig mit schwarzem Eyeliner und Lippenstift. Tauschte die Jeans (zumindest für kurze Zeit) gegen einen knallblauen Overall, der als ich ihn 2019 neu hatte noch knalleng saß. (Monate voller Sorgen und Ärger später nicht mehr.)

Beim Blick in den Spiegel hätte ich am liebsten zu mir gesagt: „Da bist Du ja.” Nicht, weil ich mich nicht auch ohne Make-up schön finde, Ihr wisst ja, ich bin das Jeans-und-T-Shirt-Girl. Sondern, weil mich dieses Gesicht im Spiegel mit dem kleinen Blitzen in den Augen an jemanden erinnerte.

An die „Vorher-Sue”.

Ich vermisse mich

Und damit meine ich jetzt nicht nur das Äußerliche. Sondern dieses Gefühl, das an dem Abend aufkam. Diese Erinnerung an mich „Pre-Corona”, „Pre-Wohnungshorror”, „Pre-Abkapseln”.

Ich vermisse die „2019 Sue” gerade mit jeder Faser meines Herzens. Dazu muss ich sagen, dass 2019 so ziemlich „mein Jahr” war. Hätte auch unsere Hochzeit nicht 2017, sondern 2019 stattgefunden, wäre es wohl „das Jahr schlechthin” bisher gewesen. Unfassbar inspirierende Reisen (viele beruflich, wie die Cannes Filmfestspiele mit L’Oréal Paris, Hotel-Kooperationen in Marrakesch (ich war so verzaubert) und eine Kooperation mit den Universal Studios, die unfassbar war) und Wahnsinns-Jobs (beispielsweise eine Biotherm-Kampagne in Barcelona, aber auch mein zweites Standbein als Stressmanagement-Trainerin). Privates Glück. An Silvester war tatsächlich in meinem Kopf: „Wie soll das noch besser werden? Was soll jetzt noch kommen?” Ich erinnere mich an so viel Lebensfreude, Leichtigkeit und Selbstbewusstsein zurück. Sue die Strahle-Powerfrau. So viele Erlebnisse und Eindrücke, die mich vor Kreativität nur so sprudeln ließen.

Und dann kamen die weltweite Pandemie, fast zwei Jahre Schimmelhorror in unserer alten Wohnung mit Ärger hoch 10, gesundheitliche Probleme. Es sollten die beiden herausforderndsten Jahre auf mich warten.

Seit Lockdown #1 habe ich immer alles „richtig gemacht”. Mich an Regeln gehalten, mir (zu) oft die Hände gewaschen, Kontakte reduziert. Reisen waren eigentlich ein essentieller Teil meiner Selbständigkeit und auch dieses Lifestyle-Blogs. Ich bin die letzten zwei Jahre nicht einmal in ein Flugzeug gestiegen. Während ich andere auf Instagram auf den Malediven sah, habe ich gleich zwei Mal eine berufliche Reise dorthin abgesagt. Habe mein ganzes Businessmodell verändert und in der Selbständigkeit zum ersten Mal berufliche Unsicherheit gespürt.

Wenn ich an die letzten beiden Jahre denke, dann gibt es da ein Wort: Abkapseln. Und während ich mich so abkapselte, da kapselte sich mental in mir auch etwas ab. Nach Monaten allein zu Hause im Home Office. Teilweise tagelang mit niemandem „im echten Leben” zu sprechen, außer mit meinem Mann, der abends aber auch spät und müde von der Arbeit kam. Immer neue mediale Schreckensnachrichten. Persönliche Ängste, Sorgen. All das hat Spuren hinterlassen.

Etwas muss sich ändern

Mein Umfeld und auch ich selbst waren in den letzten beiden Jahren sehr streng. Ich habe alles richtig gemacht. Teilweise Freunde seit Monaten nicht gesehen. Ich bin drei Mal geimpft und weiß, dass ich deshalb extrem privilegiert bin. Habe alles „nicht-notwendige” abgesagt. War so selten unter Menschen. So viel zu Hause.

Natürlich ist das auch alles verständlich und sogar angeraten. Aber ich vermisse mich gerade so sehr. Nicht nur mein „altes Leben”, das aber auch einfach nicht mehr so sein wird wie noch 2019. Ich vermisse mich. Meine Power, meine Leichtigkeit, mein Strahlen, meine Lebensfreude.

Alles ist immer mit so viel Schwere verbunden. Mit Organisation. Mit Abwägen.

„Soll ich das jetzt wirklich machen?” „Sollte ich es nicht lieber lassen?”

Die letzten Monate fühlten sich nach einem ständigen Abwarten an. Warten, dass das Leben endlich wieder „los geht”.

Ich vermisse weniger das Gesicht im Spiegel, sondern viel mehr dieses Gefühl von früher. Diese Selbstverständlichkeit. Die Spontanität. Die Lebensfreude. Die Kraft. Die Energie und die Kreativität, die nach Erlebnissen und neuen Erfahrungen aus mir heraussprudelte.

Ich merke, wie stark ich mental unter dem Abkapseln und dem Warten gelitten habe. Wie sich das Innerste verändert hat. Wie Ängste immer wieder überwunden werden müssen mit Kraft, die eigentlich fehlt.

Und dann kam jetzt das neue Jahr. Die nächste Welle. Der Booster. Aber dennoch die Einsamkeit im Home-Hoffice. Der Kalender, der wieder so wenige eingetragene Termine zeigt. Ich vermisse mich, aber ich vermisse auch vor allem mich in meinem sozialen Umfeld.

Da zog ich mir mein liebstes Outfit an (auch wenn mich niemand sah), schaltete die Nachrichten-Dauerbeschallung ab (einmal am Tag reicht locker) und nahm mein iPhone in die Hand. „Hast Du nächste Woche Zeit?” „Wollen wir ab jetzt einmal die Woche Co-Working bei mir machen?”

Ich muss zurück ins Leben. Wahrscheinlich immer noch viel vorsichtiger als andere. Aber ich gehe sie jetzt, die ersten Schritte.

Bild: Sophie Wolter


4 Kommentare

  • Hannah

    14. Januar 2022 at 14:50

    Ich mag Deine Texte bei Life at 30 immer sehr, sehr gerne, weil Du sehr viele Dinge sehr schön auf den Punkt bringen kannst, nicht nur die die richtigen Worte findest, sondern auch die richtige Tonart und Du klug und reflektiert schreibst, wodurch ein wirklicher Mehrwert für Deine Leser entsteht. In mir ist vielleicht erst einmal nur ein diffuses Gefühl und dann lese ich Deinen Text und auf einmal kann ich dieses Gefühl benennen, kann ich viel besser begreifen was eigentlich in mir vorgeht und natürlich ist es auch einfach wirklich beruhigend zu lesen / zu wissen, dass man nicht alleine ist mit seinen Empfindungen, dem Verlorensein, der Erschöpfung. Ich glaube ganz sicher, dass Du die fröhliche, die leichte, die lebenslustige Sue in Dir wiederfindest, aber ich sehe auch an Deinen Texten wie Du gewachsen bist in den letzten Monaten. Deine Texte sind – wie anfangs gesagt – immer toll, aber sie haben auf jeden Fall noch einmal sehr an Tiefe gewonnen und ich als Leser weiß das zu schätzen, es hilft mir. Danke für Deine Offenheit! Liebe Grüße Hannah

    Antworten

  • Kim

    14. Januar 2022 at 20:21

    Liebe Sue,
    vielen Dank für diesen Text, in dem ich mich (leider) wiederfinde. Dieser Text ist für mich etwas ganz Besonderes, weil du es geschafft hast meine momentane Gefühlswelt zu Papier zu bringen.
    Liebe Grüße
    Kim

    Antworten

  • Lisa

    14. Januar 2022 at 22:19

    Danke, für diesen Text, der das Corona Gefühl so gut beschreibt! Ich wünsche dir sehr, dass du ganz bald mehr von der alten Sue erleben kannst!
    Liebe Grüße
    Lisi

    Antworten

  • Jules

    16. Januar 2022 at 17:45

    Liebe Sue,
    danke dir für diesen wahnsinnig krassen und einfach wunderbaren Artikel!!!!
    Du triffst es und während ich lese kommen mir fast Tränen. Tränen der Erleichterung, weil du schreibst wie ich fühle und es in Worte fassen kannst. Das öffnet mir persönlich viel mehr als nur den Blick auf aktuellen C-Konfrontationen.
    Es hat einfach so gut getan, das zu lesen.
    DANKE, dass du so offen deine Gefühle mit uns teilst.Also los, Schritt für Schritt…. 🥰

    Liebe Grüße,
    Jules

    Antworten

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