Life at 30: Das Leben ist doch keine To-Do-Liste

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Jaja, wir lieben alle To-Do-Listen oder? Dieses Abhaken – so ein gutes Gefühl. Aber dahinter verbirgt sich auch eine Gefahr. Denn das Leben ist doch keine To-Do-Liste.

Diese Woche habe ich mich für meinen Artikel über Burn On wieder einmal intensiv mit dem Thema Stress im Alltag beschäftigt. Etwas, das mir schon länger auffällt, wurde bei meiner Recherche stark bestätigt. Die To-Do-Liste, die im Arbeitsalltag für das Priorisieren von Aufgaben so hilfreich sein kann, schleicht sich auch in unsere Freizeit. Und plötzlich fühlt sich jeder Lebensbereich wie ein Abhaken einer unendlich erscheinenden Aufgabenliste an.

Über unsere Erfolgsgesellschaft und diesen Druck möglichst schnell „fertig zu werden”

Bert te Wildt und Timo Schiele haben in „Burn On” in einem Kapitel über unsere Erfolgsgesellschaft geschrieben und ich war so dankbar, diesen Begriff anstelle des geläufigeren „Leistungsgesellschaft” setzen zu können. Diese Spezifizierung ist auch in meiner teilweise sehr frustrierenden Online- und Social Media Branche unglaublich wichtig. Denn der Begriff sagt genau das aus, was ich schon so lange fühle und äußere. Es geht in unserer Gesellschaft schon längst nicht mehr um die Leistung der einzelnen Personen (was ja auch schon zu wahnsinnig viel Druck führt). Nein, schlimmer. Es geht nur um den Erfolg. Die Zahl, die am Ende steht, zählt (und nicht an Leistung oder Qualität, sondern ausschließlich an Zahlen gemessen zu werden, das ist eine langjährige Frustration in meinem Arbeitszweig – besonders bei Instagram).

Wir jagen deshalb Erfolg um Erfolg hinterher. Wollen immer möglichst schnell „fertig werden”, um das nächste Projekt und das nächste Ziel angehen zu können. Weil sich die Erfolge gut anfühlen. Weil wir uns in unserer Erfolgsgesellschaft darüber definieren. Und ich spreche hier nicht nur von der Arbeit. Sondern auch von unserem Privatleben (diese Trennung gibt es leider immer seltener by the way…).

Beförderung – check. Neues Projekt – check. Gehaltserhöhung – check. Da hört es aber nicht auf. Es geht weiter mit all den Erfolgserwartungen, die wir an unser Privatleben stellen. Größere Wohnung, „perfekte” Beziehung/Ehe/Familie. Erinnert Ihr Euch noch an diese „Mein Haus, mein Boot…” Werbung von damals?

Damit wir immer neue Erfolge feiern können (obwohl wir sie ja meiner Meinung nach viel zu wenig genießen und feiern), müssen wir die To-Do-Listen beruflich und privat möglichst schnell abhaken.

Ich habe mich selbst bei einem beruflichen Traum dabei erwischt, wie ich weniger an das Projekt und die Freude daran dachte, sondern im Kopf schon fünf Schritte weiter war. Und mir selbst Druck machte, dass das Produkt am Ende ja auch erfolgreich sein muss. Schließlich sehe ich doch um mich herum (vor allem im beruflichen, digitalen Umfeld) nur Erfolgsstories. Einfach das Projekt an sich würde meinem Teenager-Ich schon die Freudentränen in die Augen treiben. Aber in unserer Erfolgsgesellschaft musste ich mich erst einmal selbst schütteln, um zu realisieren, dass es hier nicht nur um den Erfolg, um Verkäufe, um blanke Zahlen geht. Sondern auch einfach um das Projekt an sich. Um das Realisieren eines Lebenstraums, dessen „Weg und Prozess” mir auch viel Freude bereiten wird. Und noch viel wichtiger: Was ich anderen Menschen damit für einen Mehrwert biete. Sollte das nicht viel wichtiger sein?

Das Leben ist doch keine To-Do-Liste

Ja, das Abhaken der To-Do-Liste bringt ein richtig gutes Gefühl mit sich. Ich liebe selbst meine tägliche berufliche To-Do-Liste, weil ich mir angewöhnt habe 3 bis maximal 5 Dinge darauf zu schreiben. Zu priorisieren. Jeden Tag wieder.

Ich kenne aus meinen „Hamsterrad-Zeiten” aber auch so, so gut, dass sich plötzlich jeder Aspekt des Alltags nach To-Do anfühlt. Als ich früher besonders stressige Phasen hatte, da hatte ich beispielsweise das Bedürfnis hintereinanderweg alle Haushalts-To-Dos am Wochenende schnell „abzuhaken”. Wenn mein Mann etwas übernehmen sollte (bspw. Staubsaugen), dann machte es mich wahnsinnig, wenn er das nicht sofort erledigte. Alles sollte fertig sein. Alles wollte ich abhaken.

Und sogar Treffen mit Freunden fühlten sich in der ganz schlimmen Dauerstress-Zeit zum Ende wie To-Dos an. Arbeit wurde priorisiert. Musste an die erste Stelle gesetzt werden, denn auch hier hatte ich das Gefühl „nie fertig zu werden”. Aufgaben wurden mit nach Hause genommen, abends wurde es später. Treffen mit Freunden wurden verschoben oder direkt abgesagt. Es fühlte sich anstrengend an, wenn ich mich auch noch darum kümmern sollte. Selbst die Frage „Was essen wir am Wochenende?” überforderte.

Zu viele To-Do-Listen, zu viele Aufgaben, zu viel Mental Load. Hätte ich damals von Burn On gelesen, ich hätte vermutlich einige Aspekte sehr gefühlt.

Wenn selbst Entspannung und Freizeit zur Arbeit wird…

Und heute sehe ich es oft in meinem Coaching-Job und in meinem Umfeld. Selbst „Well-being” wird bestmöglich optimiert und „abgehakt”. „Ich muss heute noch meditieren!”

Wenn die Dinge, die uns gut tun, auch einfach in einer scheinbar endlosen Auflistung auf einer To-Do-Liste erscheinen, dann verfehlt das alles seinen Zweck.

Einfach nur zu sein, das ist vielen gar nicht mehr möglich. Uns treiben zu lassen, das haben viele gänzlich verlernt. Einmal nicht jede Pause mit etwas zu füllen. (Bei diesem Rat werde ich übrigens häufig schief angeschaut.)

Deshalb versuche ich so sehr darum zu kämpfen, dass wir uns nicht in diesem Hamsterrad aus unendlichen To-Do-Listen verlieren. Und das fühlt sich ehrlicherweise oft wie ein Kampf gegen Windmühlen an.

Warum? Weil wir von klein auf gelernt haben: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen”. Weil wir so sehr daran gewöhnt sind „zu funktionieren”. Weil bewusst und im Moment zu sein oft als „dafür habe ich echt keine Zeit” abgetan wird. Weil lieber Kaffee für 6 Euro pro Becher jeden Tag gekauft wird, um ja das hohe oftmals eigens auferlegte Pensum halten zu können, als ein Stressmanagement-Kurs.

Aber ich gebe nicht auf zu rufen: Das Leben ist keine To-Do-Liste. Denn wenn erst einmal alles zum To-Do wird, dann wird auch alles einfach unfassbar anstrengend. Und wir übersehen diese kleinen Freuden und Momente des Alltags, die so viel mehr bieten, als dieses „Ich habe alles abgehakt”-Gefühl.

Bild: Sophie Wolter

Hier findest Du Wege, wie wir Deinen Stress zusammen angehen können. 


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2 Kommentare

  • Frieda

    11. März 2023 at 11:35

    Liebe Sue,
    wie spannend, dieser Artikel drückt gerade genau das Gegenteil aus, was ich in den letzten Wochen mit To Do-Listen erlebt habe. Seit Ende Januar schreibe ich mir wöchentliche private To Do-Listen, auf denen ganz explizit “Freude” auftaucht, z.B. “Einen Sparziergang machen”, “Karten für ein Theaterstück kaufen” oder auch ganz schlicht “Weiter an meinem Schal stricken.” Das hilft mir so sehr, über den vielen anderen Aufgaben nicht aus den Augen zu verlieren, was mir wirklich Erholung bietet. Denn ohne die Liste ist “Entspannung” dann viel zu oft vor dem Laptop sitzen und in den Untiefen des WWW zu versinken. Wenn ich stattdessen diese Liste habe mit Dingen habe, die ich auch wirklich machen will, nur in stressigen Situationen oder angesichts von ablenkenden Bildschirmen schnell vergesse, ist es viel wahrscheinlicher, dass ich etwas tue, was mir wirklich und langanhaltend Freude bereitet. Ich glaube, der wöchtentliche Charakter ist dabei wichtig, an einem Tag kann man nicht alles schaffen, aber im Laufe der Woche wird sich ein Zeitfenster zum Stricken/Lesen/Sparzierengehen/.. finden und es sind auch nicht mehr als vielleicht 5 “Freuden” die ich mir aufschreibe. Das soll deinen Artikel keinesfalls abschwächen, mir sind sofort mehrere Menschen im Bekanntenkreis eingefallen, die genau so ticken wie oben beschrieben. Es ist nur nochmal eine Erweiterung, für manche Menschen oder Lebensphasen kann auch die private To Do-Liste natürlich tortzdem hilfreich sein. 🙂
    Viele Grüße,
    Frieda

    Antworten

  • Susan Fengler

    14. März 2023 at 15:28

    Hi Frieda, danke Dir für Deinen Kommentar. Ich glaube, Du hast meine Intention hinter dem Artikel etwas falsch verstanden. Ich bin keineswegs gegen solch schlaue To-Do-Listen im Alltag – hatte deshalb auch hier in der Kolumne meinen Artikel über clevere To-Do-Listen verlinkt (zu dem kommst Du, wenn Du oben auf das türkisfarbene ‘berufliche To-Do-Liste’ klickst).
    Es geht mir hier darum, dass nicht alles sich nach Aufgaben anfühlen soll im Leben, die es zu erreichen gilt und sich nicht alles à la Burn On nur noch nach „abarbeiten” und „erledigen” anfühlen soll.
    Dass es im Leben nicht darum geht einen „Erfolg” nach dem anderen einzufahren, sondern auch einfach die schönen Momente ohne Druck zu genießen.
    Ganz liebe Grüße, Sue

    Antworten

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