Life at 30: Das kann gerade auch alles etwas zu viel sein
In: Life at 30
Bei all der Freude und dem Enthusiasmus, kann gerade auch alles etwas zu viel sein. Und weißt Du was? Es geht nicht nur Dir so!
Ich wohne in Hamburg mitten auf einem Marktplatz. Das ist jetzt keine beschreibende Metapher, die ausdrücken soll, dass ich sehr zentral wohne. Das Haus steht wirklich mitten auf dem Marktplatz.
So bin ich es natürlich gewohnt, allein wenn ich auf meinem Balkon stehe, tagein tagaus viele Menschen zu sehen. Aber gegen dieses „Außen” stellte sich in dem vergangenen Jahr (krass, ja wirklich ein ganzes Jahr) ein absolutes „in meiner Wohnung Einkapseln”.
Warum ich für den Juni den Less Stress Impuls „Du musst nicht von 0 auf 100 starten” gewählt habe? Auch aus einem sehr persönlichen Grund. Denn auch wenn es wegen meiner fröhlichen, selbstbewussten Art nicht so erscheint. Die letzte Zeit ging an mir keinesfalls spurlos vorbei.
Ich bin ganz ehrlich zu Dir…
Das letzte Jahr, in dem ich teilweise wochenlang nicht mehr als vier andere Menschen sah (meinen Mann und ab und an die engsten Freunde) gepaart mit einer Angst vor Ansteckung (ja, sie war immer irgendwie da) und Regeln über Regeln. Dann darauf noch fünf Monate Auszug aus der Wohnung und erst einmal in der Ersatzwohnung die Boxershorts vom Vermieter neben dem Bett wegräumen (und mit Maske wie eine Verrückte die Wohnung putzen) zusammen mit so viel Energie aufbringen, weil ich quasi kostenfrei für die Hausverwaltung arbeitete (sonst hätten wir mehrmals bei Freunden unterkriechen müssen). Ich sag es wie es ist: Das letzte Jahr hat selbst bei mir als Stressmanagement Trainerin so, so viele Spuren hinterlassen.
Das gebe ich nicht gern zu, denn als „Coach” muss man (so wird es mir zumindest signalisiert) doch immer absolut Zen sein und spielend leicht dank der eigenen Tipps und Erkenntnisse durchs Leben gehen. Aber soll ich Dir was sagen, das ist Quatsch! Meiner Meinung nach kann ich anderen sogar viel, viel besser helfen, wenn ich selbst schwierige Zeiten durchgemacht und überwunden habe. Gerade dann weiß ich den richtigen Rat zur richtigen Zeit. Wie zum Beispiel, wenn es um Job-Stress geht aus meinem 24/7-Stress, den ich vor ein paar Jahren hinter mir ließ.
Keiner (und da lehne ich mich jetzt mal etwas aus dem Fenster) steckt so eine noch nie dagewesene Pandemie (vielleicht noch gepaart mit persönlichen Schickalsschlägen) einfach so weg. Auch wenn es gerade beim Blick nach draußen vielleicht so erscheint.
Natürlich freue ich mich gerade wie ein kleines Kind, dass der Sommer da ist. Die Inzidenz sinkt. Die erste Impfung in meinem Arm ist (der schönste blaue Fleck aller Zeiten). Und dass wir tatsächlich die erste Reise gerade wieder planen.
Das kann gerade auch alles etwas zu viel sein
Wenn ich vor an die Alster laufe und dabei an beinahe jedem einzigen Tag eine richtige Party-Crowd an Generation Z’lern vorfinde. Dann überfordert mich dieses von 0 auf 100 selbst. Und ich „verziehe” mich lieber links hinter den Baum, wo nur noch eine weitere Frau ein Buch liest.
Ich merke auch in meinem Umfeld, dass das ganze „von 0 auf 100″ selbst die ein wenig überfordert, die sonst immer mittendrin im Geschehen waren. Meine Freundin Sarah hat hier auch passende Worte gefunden vor Kurzem.
Und ganz ehrlich: Wenn ich auf die letzten Monate zurückblicke, dann saß ich wochenlang den ganzen Tag allein in einem Zimmer. Wie soll mich dann das „Durchdrengeln” zwischen Tischen der Außengastronomie nicht etwas überfordern? Die Termine, die auf einmal auf einen einprasseln. Dass jetzt alles, was sich monatelang sooo sehr in die Länge zog (ich habe bei jeder Konferenz auf die kleinsten Lockerungen gehofft und auf Besserungen) irgendwie innerhalb von einer Woche explosionsartig verändert worden zu sein scheint.
Ich meine: Vor ein paar Wochen (nicht vor einem halben Jahr!), habe ich noch gehofft, dass es erlaubt ist, eine befreundete Family mit mehr als einer Person zu treffen. Oder abends nach 21 Uhr das eigene Haus zu verlassen.
Deswegen ist es mir heute so wichtig, wieder einmal so ehrlich zu Euch zu sein. Und Euch nicht nur zu sagen: Es ist okay, dass gerade alles vielleicht etwas zu viel erscheint. Sondern auch: Ich kann das auf einer ganz persönlichen Ebene total gut nachvollziehen.
Und es geht sicher nicht nur mir so, dass bei all dieser Freude auch ein Gedanke nicht gänzlich auszumerzen ist. „Was wenn jetzt alles auf einmal zu schnell geht, wo doch noch so viele ungeimpft sind, und wir am Ende dann das dicke Ende bekommen?”
Dann schiebe ich den Gedanken wieder weg und finde einfach den Weg, der sich gerade für mich richtig anfühlt.
Du bist kein Angsthase, wenn Du Dein Tempo gehst (ganz im Gegenteil)
Ich bin nicht sofort nach draußen gestürmt und reiße mir nicht sofort die Maske vom Gesicht, nur weil es an einem überfüllten Ort vielleicht auf einmal erlaubt ist. Bin ich deshalb ein Angsthase? Nein, ich finde es sogar sehr mutig, wenn Du gerade jetzt Dein eigenes Tempo gehst.
Denn das Wichtigste ist doch, dass wir uns selbst wohl fühlen.
Ich finde es so stark, wenn wir vor uns und vor anderen gerade zugeben: Dieser Termin (ob beruflich oder privat) ist mir in diesem Monat noch etwas zu viel. Oder Du ein Projekt etwas nach hinten verschiebst, weil Du erst einmal etwas durchatmen und bei Dir ankommen musst. Das bedeutet, Du kümmerst Dich um Dich selbst.
Dein Leben ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Und wenn Du jetzt mit zu wenig Kapazitäten einen Usain Bolt Start einlegst, dann kommt vielleicht schon nächsten Monat das große Seitenstechen.
Lasst es uns gesellschaftsfähig machen zu sagen: Das ist mir gerade alles etwas zu viel. Ich gehe alles in meiner Geschwindigkeit an.
Vielleicht hilft Dir auch meine kleine Podcast-Pause zum „Von 0 auf 100″ Thema etwas. Hör doch mal rein!
Bild: Dennis Kayser
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2 Kommentare
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Susan Fengler
21. Juni 2021 at 13:58
Ich finde es ganz großartig, dass Du Dir das so vornimmst liebe Sarah! Wirklich toll!
Antworten
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Sarah
18. Juni 2021 at 16:38
Liebe Sue,
ich fühle das so sehr! Ich bin auch überfordert mit der plötzlichen Schnelllebigkeit. Ich fühle mich noch nicht bereit für all das. Ich bin noch nicht bereit dazu, in den Schnellzug des Alltags einzusteigen und die Lautstärke lauter zu drehen. Ich brauche auch noch ein wenig mehr Zeit, um mich wieder an all das “Normale” zu gewöhnen.
Ich gebe zu, ich habe die Ruhe, das Herunterfahren und das Zurückziehen im vergangenen Jahr sehr genossen. Ich bin gedanklich endlich zur Ruhe gekommen und mir wurde bewusst und klar, was ich für mein Leben möchte und welchen Weg ich gehen möchte.
Eines nehme ich mir ganz fest vor: Ich gehe mein eigenes Tempo und lasse mich nicht wieder von all dem Stress, der Hektik und der Lautstärke des Alltags überrollen. Ich achte auf mich und tue genau das, was sich für mich gut und richtig anfühlt.
Ich sende dir ganz herzliche Grüße!
AntwortenSarah