Life at 30: Erst denken, dann fotografieren
In: Life at 30
Warum mich Touristen am 911 Memorial in New York sprachlos machten? Obwohl ich am liebsten laut gerufen hätte: erst denken, dann fotografieren!
Schnell, ein schönes Familienbild. Alle bitte hübsch lächeln! Eigentlich nichts dabei, oder? Wäre der Hintergrund nicht ein riesiges Poster im 911 Memorial Museum. Darauf zu sehen: Die brennenden eingestürzten Türme des World Trade Centers. Richtig schöner Moment fürs Familienalbum, oder? Kleben sie es dann direkt neben das Strandbild vom letzten Urlaub?
Dieser Moment machte mich wirklich sprachlos. Schade, denn ich hätte der Mutter mit der Digicam gern ein paar Worte gesagt. Nur war ich ohnehin gerade in meinen Gedanken und meinen Gefühlen an diesem Ort so gefangen, dass ich die Situation nur am Rande wahrnahm.
Erst fotografieren und dann denken? Scheinbar gar nicht so selten…
Abgesehen davon, dass ich mir im 911 Museum selbst nicht mal ansatzweise ein Lächeln hätte abringen können. Denkt eigentlich noch irgendjemand nach, bevor einfach „drauf los fotografiert” wird? Haben die Menschen jegliche Sensibilität für Situationen verloren, in denen ein Foto unangebracht ist?
Scheinbar schon. Wir erinnern uns an den Skandal in Berlin mit all den Touri-Fotos am Holocaust-Denkmahl. Völlig Fehl am Platz. Statt Andacht und Anteilnahme: Selfie-Fun. Wie kommt man darauf? Fehlendes Wissen, wo man sich gerade befindet? Oder einfach pure Ignoranz? Schlicht Dummheit?
Man könnte jetzt sagen: Da bin ich in New York jetzt zufällig ein paar extrem dummen Menschen begegnet. Allerdings sprach mich eine liebe Kundin nach meinem 911 Memorial Museum Artikel genau auf diese Situation an. Auch sie war entrüstet von all den happy Selfies an diesem Ort des Gedenkens. „Rein theoretisch schießen sie lächelnd ein Foto vor einem Grab tausender Personen. Ich finde das gehört sich überhaupt nicht.” Genau so sehe ich das auch!
Als Blogger mache ich ständig Fotos. Aber man muss doch auch einmal wissen, wann es schlicht und einfach falsch ist, mit einem breiten Grinsen für die Kamera zu posieren. Ich habe nach meinem Besuch im Museum ein Foto vor einer dafür gedachten Wallart um die Ecke gemacht. Selbst da fiel es mir noch schwer für die Kamera zu lächeln.
Draufhalten!
Das ist doch häufig die Devise. Wird denn gar nicht mehr darüber nachgedacht, was man gerade fotografiert? Wann es auch einmal wirklich unangebracht ist, lächelnd ein Familienfoto zu knipsen? Fotografieren ohne Hirn einschalten?
Da wundert es mich nicht, dass bei Unfällen mittlerweile besondere Absperrmaßnahmen getroffen werden müssen. Und sogar Staus entstehen, weil nicht mehr nur gegafft wird. Nein, man muss ein Foto haben. Das ist doch das Allerletzte, an das ich in dem Moment denke, wenn ich einen Unfall sehe.
Manchmal macht mir das regelrecht Angst. In meinem Kopf: Eine Situation, in der ein Mensch Hilfe benötigt. Um ihn herum eine gesichtslose Masse an Menschen. Mit Smartphone in der Hand. Keiner hilft, alle fotografieren und filmen. Ein furchtbares Bild.
Foto: Unsplash.com
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3 Kommentare
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Susan Fengler
13. Oktober 2018 at 18:06
Hi Susanne, ja man sollte nicht alles zu schnell verurteilen. Aber ein Familienfoto vor einem riesigen Poster mit den brennenden Türmen mit strahlenden lachenden Gesichtern – entschuldige, das würde kein Betroffener machen. Liebe Grüße Susan
Antworten
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Kirsten
15. Oktober 2018 at 11:53
Liebe Sue,
Antworten
ich finde, du hast damit völlig Recht. Mich hat es damals auch gewundert.
LG
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Susanne
13. Oktober 2018 at 15:57
Hallo Susan,
Antwortenein Stück weit kann ich Deine Entrüstung verstehen, aber grundsätzlich verteilst Du Leute aufgrund Deines entstandenen Eindrucks.
Die jeweiligen Hintergründe für die Fotos kennst Du nicht. Sicherlich ist auch eine breite Masse mit „wenig Hirn“ dabei, aber vielleicht ist auch hin und wieder ein Betroffener dabei, der vielleicht dokumentieren will, dass er/sie es endlich geschafft hat, dort zu sein?!
Pauschale Bewertungen stehe ich generell kritisch gegenüber, mir selbst ist es schon zu häufig passiert, dass ich völlig falsch lag.
Liebe Grüße und noch ein sonniges Wochenende
Susanne