Life at 30: Das wird so nix

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Solange Stress weiterhin mit Erfolg gleichgesetzt wird, werden wir uns immer weiter „herunterwirtschaften”.

Gestern habe ich einen Artikel über Burn-on geschrieben (hier kannst Du ihn lesen). Und kurz danach sind mir die Worte und Sätze für diese Kolumne geradezu in den Kopf geschossen und mussten sofort aufs digitale Blatt Papier. Denn als ich den Artikel fertig geschrieben hatte, hing ich kurz in Instagram Stories fest (Du kennst das). Kopfschüttelnd dachte ich: „Das wird so nix.”

Denn die erfolgreichsten Menschen dieser gar nicht so kleinen Digitalbranche spiegelten alle ein Bild. Busy. Da werden in einer Regelmäßigkeit Züge oder Flüge von einem Job, Event oder Meeting nur so knapp bekommen, dass ich kurz die Luft anhalte. Dabei betrifft es mich gar nicht. Manchmal bin ich schon „mitgestresst”, wenn ich mir nur den Alltag der anderen reinziehe.

Aber nicht nur auf Instagram. Auch aus meinem Hamburger Umfeld mit einigen Anwälten und BWLern wird eins deutlich: Wer am beschäftigtsten ist, ist auch am erfolgreichsten. Meist stimmt das auch, weil unsere Gesellschaft komplett so aufgebaut ist und der Deutsche ja schon traditionell „fleißig” sein muss. Aber zumindest für die Außenwirkung ist die Arbeit der Person mehr „wert”, die sich ständig offensichtlich zeitlich unter Druck setzt, sich beschwert und augenscheinlich nur am Arbeiten ist.

Das wird so nix.

Und das sage ich nicht, weil ich à la Timothy Ferriss ein Buch mit dem Titel „Die 4-Stunden Woche” verkaufen will. Und viel meiner Arbeit von indischen Digital-Assistenten erledigen lassen will (rät er und will ich nicht, aber das ist wieder ein anderes Thema). Ich sage das, weil ich selbst mit Mitte 20 so gedacht habe. Und dieses Leben ohne richtige Pausen einen am Ende einholt. Zumindest fertig macht, wenn es einen nicht kaputt macht (da wären wir beim Unterschied Burn-on und Burn-out).

Ich dachte immer, ich muss am Tag unzählige Stunden arbeiten. Nur wenn ich immer beschäftigt und gestresst bin, dann kann ich wirklich viel erreichen. Denn: Das ist der Ton in unserer Gesellschaft. In den USA ist das Abstrampeln im Hamsterrad zwar noch einmal auf einem ganz anderen Level, aber in Deutschland sind wir auch „gut dabei”. (In den USA bist Du nämlich gleich verloren, wenn Du nicht „hustlest”, weil es kein soziales Auffangnetz wie bei uns in Deutschland gibt.)

Regelmäßig läuft mir ein eiskalter Schauer den Rücken herunter, wenn ich dran denke, wie es in der Finanzwelt und an der Börse teilweise abgeht in Bezug auf Arbeitsstunden, Stresslevel und daraus resultierender „Ausgebranntheit”. Und dann soll Vertrauen im Umgang mit Geld herrschen. Schwierig.

Noch viel schwieriger: Die Personalzustände in Krankenhäusern. Rund um die Uhr arbeiten? Klar. Aber dabei bitte immer hochkonzentriert sein und keine Fehler machen.

Zum Glück funktioniert das System mit beinahe allen im Burn-on gerade noch so. Also nicht ständig vergessene OP-Instrumente im Patienten oder fatale Fehler beim Banking. Aber: Ist das wirklich unser Konzept? Dass alle immer arbeiten bis zum Umfallen, um Karriere zu machen. Oder alles direkt so ausgelegt ist, dass wir arbeiten bis zum Umfallen, weil an allen Ecken Personal gespart wird, weil „es ja doch auch so immer irgendwie geht”.

Ist dieses „es geht immer irgendwie” langfristig gedacht? Was ist, wenn die die mit „Burn-on” gerade alles irgendwie noch am Laufen halten, doch unter dem ganzen Druck zusammenbrechen und ausbrennen? Und könnte es nicht auch anders gehen mit verbesserten Strukturen und einem anderen Mindset?

Stressmanagement? Effektivere Strukturen schaffen? Dafür scheint im stressigen Alltag keine Zeit

Wenn ich sage, dass ich neben meinem Blog-Business auch Stressmanagement-Trainerin und Life at 30 Mentorin bin, dann bekomme ich zwar häufig ein „Oh ja so wichtig” entgegnet. Aber viele wollen gar nicht so richtig an ihrem Stresslevel arbeiten. Nicht, weil es sie nicht belastet (meist sogar sehr). Sondern, weil es doch nicht zum Bild nach außen passt. „Wie sieht das denn aus, wenn ich wie beispielsweise nach einem sehr anstrengenden Produktionstag mitten in der Woche in meiner Selbständigkeit morgens ausschlafe?” So wie unsere Welt funktioniert, heißt das: „Ach die hat wohl nicht genug zu tun. Bei der läuft es nicht.”. Die wirkliche Bedeutung von effektivem und effizientem Arbeiten scheinen die allerwenigsten zu kennen. Mehr ist mehr. Selbst wenn sich Strukturen und Prozesse vereinfachen ließen, damit Druck rausgenommen werden könnte. Da müsste ja das „große Ganze” betrachtet werden dafür. Aber dafür ist im stressigen, hektischen Alltag doch keine Zeit.

Da kann ich noch so oft schreiben und in die Welt rufen: Nach Deinen regelmäßigen Pausen im Alltag arbeitest Du sogar effektiver und brauchst sogar weniger Zeit. Also hast Du gar nicht so viel zu verlieren wie Du denkst. Richtig geglaubt wird mir erst nach einigen erfolgreichen Übungen und Beispielen. Denn: Das scheint ja Hokuspokus zu sein, weniger Stunden zu arbeiten und nicht dauernd am Anschlag zu sein und trotzdem genug Geld zu verdienen, um sich dies und das im Leben zu ermöglichen.

Einige kommen mit gewonnenener Zeit für Pausen und Durchatmen auch gar nicht zurecht. Stichwort: Außenwirkung. Was soll der/die Chef*in denken, wenn man schon eine Stunde früher Feierabend macht? Und auf der anderen Seite: So wie gerade alles läuft, bekommt man dann noch mehr Arbeit zugeschoben, denn „man hat ja scheinbar noch Zeit, die zugeknallt werden kann” (was leider manchmal auch dann der Fall ist).

Work-Life-Balance ist auch nur so ein fancy Wort…

Und das wird meist auch noch zum Stressfaktor. „Wie soll ich denn bei all der Arbeit auch noch Yoga, Meditation oder einfach mal entspannt nichts tun auf die To-Do-Liste knallen?” Das ist der falsche Ansatz. Und deswegen ist „Work-Life-Balance” teilweise ein für mich genau so stark belastetes Wort wie „Wellness”.

Aber wenn wir nicht bald – auch gesellschaftlich – umdenken, dann wird das so alles nix. Irgendwann wird alles zu viel. Wird das System so langfristig bestehen können? Und selbst wenn… Dann werden alle Superwomen und Supermen und Mitarbeiter*innen des Jahres, die mit Magentabletten „alles am Laufen hielten” am Ende auf ihr Leben zurückblicken. Und selbst wenn das (im „besten” Fall) in der erschufteten Luxusimmobilie ist, dann werden die wenigsten sagen: „Boah, wie gut, dass ich die Jahre, in denen ich noch richtig gesund und voller Energie war, 24/7 mit Arbeit verbracht habe und dauernd nur von A nach B rannte und gefühlt ständig der Zeit hinterher.” Sie werden an die wenigen Momente der Reisen und Augenblicke mit Freunden denken und sich dann irgendwie fragen: „Wofür das alles?”.

Bild: Dennis Kayser


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