Life at 30: Immer höher, schneller, weiter

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Es ist manchmal ein schmaler Grad zwischen Selbstverwirklichung und gnadenloser Selbstoptimierung. Über „immer höher, schneller, weiter” und diese ständigen Vergleiche „nach oben”.

Im Mai startete gefühlt alles von 0 auf 100. Privat und beruflich. Und obwohl ich so lange darauf gewartet habe, fallen mir nach der langen Zeit des Stillstands auch viele Dinge noch viel mehr auf. Stechen geradezu ins Auge, obwohl es eigentlich schon immer so war.

Wenn ich auf den letzten Monat zurückblicke, dann spüre ich Freude. Endlich wieder meine Eltern besucht zu haben. Die erste Hochzeit wieder im Familienkreis. Und endlich auch wieder mehr persönliche berufliche Termine und eine gute Job-Lage. Außerdem die erste berufliche Reise (Cannes) und somit auch der erste Flug seit 2019.

Aber bei all den so schönen Momenten, war innerlich auch sehr viel los bei mir. Und so schrieb ich schon am Montag im Weekly Update, dass es völlig okay ist bei all der Freude auch das Bedürfnis zu haben, die Pausetaste zu drücken.

Denn obwohl sich 2020 und 2021 nach viel Stillstand und Zeit zu Hause anfühlen, war die Zeit der Pandemie für so viele von uns keine Zeit der Erholung. Sorgen, Ängste und Einschränkungen waren an der Tagesordnung. Und obwohl auch ich gerade wieder eine so große Lust auf das Leben habe, ist diese Zeit bei weitem noch nicht aufgearbeitet. Manchmal brauchen wir für Dinge, die „vorher” ganz normal waren, heute mehr Energie und Kraft. Müssen vielleicht erst Ängste überwinden oder sind von den Sorgen der vergangenen Jahre eben immer noch nicht so voller Energie, dass wir sofort los sprinten können.

Jetzt wo alles wieder „los ging”, da ist mir auch wieder dieses „höher, schneller, weiter” aufgefallen.

Nach außen bin ich doch ziemlich gut durch die letzten beiden Jahre gekommen. Trotz zweimaligem Wohnungs-Schimmel-Horror und all dem Ärger. Bin weiterhin selbständig. Habe mit meinem Mann eine neue Traumwohnung bezogen. Alles super, oder? Und da stehe ich so auf einem beruflichen Event und sehe es so deutlich um mich herum. Dieses „Wer kann mich hier weiter bringen” während ich mich gerade mit der Person unterhalte, mit der ich mich einfach am nettesten austauschen kann. Ohne Blick darauf, wie mich diese Person weiterbringen kann. Das heißt allerdings nicht, dass ich das alles nicht wahrnehme um mich herum.

Wir vergleichen uns doch eigentlich immer „nach oben”. Und vielleicht habe ich deshalb hier auch immer das Bedürfnis so offen und ehrlich zu sagen, dass mir die Sonne nicht immer nur ständig aus dem Hintern scheint (Sorry…). Dass ich verdammt kaputt bin innerlich von der Wohnungssache und das mit dem Umzug nicht einfach direkt alles „ablegen” konnte. Dass mich die Angst um eine Covid-Ansteckung auch so lange ergriffen hat und ich immer noch daran arbeite, mich wieder unbeschwerter zu fühlen. Wie ich auch gemerkt habe in den beiden Jahren, dass Kunden erst einmal zehn Mal überlegten, wie sie das Budget verteilen und mir tausend Steine vom Herzen purzelten, als ich merkte, dass trotzdem alles weiterlaufen kann. Obwohl ich jeden Tag sehe, wie Zahlen bei anderen nicht nur deshalb besser sind, weil sie bessere Arbeit machen, sondern weil besonders bei Social Media an allen Ecken und Enden gefaked wird.

Ich will nicht die „perfekte Sue” sein, sondern Euch auch zeigen, dass „unperfekt” verdammt großartig sein kann. Dass Ihr nicht auf Teufel komm raus an allen Schrauben drehen müsst, nur um „mehr” zu erreichen.

Denn mein Sprung zurück auf große berufliche Events und „nicht-digitales” Networking hat mir wieder so sehr gezeigt, wie gefährlich unsere Selbstoptimierung in der Gesellschaft und auch besonders in meiner Branche ist. Ich finde Selbstverwirklichung so wichtig. Aber sie geht teilweise auch in diese gnadenlose Selbstoptimierung über.

Sich nur mit Menschen zu umgeben, die einen beruflich „weiterbringen” können. Das habe ich im letzten Monat wieder so live mitbekommen. Und es erschreckte mich wieder einmal. Weil ich merkte: So viele sind so gefangen in diesem „höher, schneller, weiter”, dass sie die schöne Gegenwart gar nicht wahrnehmen. Dass sie sich gar nicht danach fragen, was sie wirklich wollen. Und ihnen gar nicht auffällt, dass es nie zu keinem Zeitpunkt einmal „genug” sein wird. Wir laufen auf ein Ziel zu, das sich immer weiter nach hinten verschiebt, wenn wir kurz davor sind es zu erreichen.

Auch ich habe mich in einer Woche kurz anstecken lassen. Dachte: Alle anderen um mich herum haben schon dies oder das gerade beruflich auf den Weg gebracht und ich bewege mich hier viel zu wenig von der Stelle. Hätte doch schon längst (überspitzt) Millionen durch Workshops verdienen müssen, fünf Bücher geschrieben haben…

Da habe ich etwas gelesen…

„Girl, you are doubting yourself, while there are so many people afraid of your huge potential.”

Wir wollen Dinge erreichen und schauen dabei immer nur nach oben. Vergleichen uns mit denen, die schon mehr erreicht zu haben scheinen. Und das führt zu so viel Druck.

Ich will nicht wie so viele in diesem „höher, schneller, weiter” gefangen sein, weil das nicht nur stresst, sondern auch unzufrieden macht.

Aber nicht mit in diese Spirale zu geraten, das erfordert großes Bewusstsein. Und so erinnere ich mich auch immer wieder daran, was ich alles habe. Wofür ich gerade so unendlich dankbar sein kann. Versuche meinen Ehrgeiz auch mal zu bremsen und um mich herum zu schauen. Die Augen zu öffnen und sie nicht verkrampft zu Schlitzen zusammenzudrücken während ich versuche immer nur mehr und mehr in diesem ganzen Druck zu erreichen.

Bild: Sophie Wolter


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